Exemplarische
Therapiegeschichte
 eines Kindes

In Hamburg zieht die Familie in eine Erstaufnahmeunterkunft, dann in eine Zwei-Zimmer-Wohnung in einer Flüchtlingsunterkunft. Nachts ist es auf dem Hausflur oft so laut, dass Amin immer aufwacht. In der Wohnung ist es eng und er erledigt seine Schulaufgaben auf dem Bett. Da die Geschwister sich aufgrund der beengten Wohnverhältnisse nicht aus dem Weg gehen können, kommt es oft zu Streit.

Amin verinnerlicht, dass es für seine Bedürfnisse wenig Raum gibt. In der Schule ist er meist still und zurückhaltend, doch in einigen Momenten brechen die angestauten Emotionen aus ihm heraus und er wird wütend, schreit und weint. Als Amin in seiner Wut einen Mitschüler verletzt, nimmt die Lehrerin Kontakt zu den Eltern auf und stellt ihnen in einem Gespräch das Angebot der „HonigHelden!“ vor. Die Eltern sind offen für das Hilfsangebot und unterschreiben eine Einverständniserklärung, dass die Lehrerin die Anmeldung und die Kontaktdaten der Familie an „HonigHelden!“ weiterleiten darf. Drei Monate muss Amin warten. Dann ruft der Dolmetscher bei seiner Mutter an und vereinbart einen Termin für ein Erstgespräch.

Zum Erstgespräch kommen beide Eltern mit Amin. Die Therapeutin erklärt ihnen, wie sich Gefühle und Gedanken auf den Körper und das Verhalten auswirken können und dass sie mit einer Psychotherapie Amin dabei unterstützen kann, seine Ängste und seine Wut besser zu regulieren. Sie erklärt, dass sie zwar in einem Raum der Schule arbeitet, aber nicht bei der Schule angestellt ist und alle Gespräche vertraulich sind. Amin traut sich, ein wenig von seiner Wut zu erzählen. Im Rahmen von fünf Diagnostik-Terminen lernen sich Amin und die Therapeutin kennen. Sie füllen gemeinsam Fragebögen aus und Amin kann zum ersten Mal in ruhiger Atmosphäre ohne Ablenkungen und Lärm einem Menschen erzählen, was ihm Angst und was ihm Freude macht. Auch die Eltern kommen zu einem erneuten Gespräch und berichten in der Anamnese von ihrem Leben und der Flucht aus Syrien, aber auch von Amins Entwicklung von seiner Geburt bis heute.

In einem Befundgespräch mit Amin und seinen Eltern schildert die Therapeutin ausführlich ihren Eindruck und erläutert ihnen ihre Diagnose für Amins Symptome. Sie macht der Familie das Angebot, Amin in Form von wöchentlichen Einzeltherapien zu unterstützen und erklärt ihnen, dass alle vier Wochen begleitende Elterngespräche stattfinden. Die Therapie ist absolut freiwillig. Amin und seine Eltern wünschten sich sehr, dass Amin mit weniger Angst und Wut durchs Leben geht und stimmten daher einer Therapie bei „HonigHelden!“ zu. Sie erlaubten der Therapeutin auf Grundlage einer Schweigepflichtsentbindung, sich mit der Klassenlehrerin auszutauschen, damit auch sie Amin im Schulalltag gut unterstützen kann.

Wie vielen Kindern fällt es Amin in der Therapie schwer, seine Gefühle und Gedanken zu benennen:

„Wenn ich wütend bin, werde ich heiß wie ein Ofen. Es ist, als würde ein Feuer in mir brennen, dass ich nicht löschen kann!“

Er zeichnet seinen Körper in Originalgröße und bekommt von der Therapeutin illustrierte Karten, die Trauer, Freude, Wut und Angst symbolhaft darstellen. Er soll die Gefühle verorten, indem er sie auf die jeweiligen Körperstellen seines Selbstbildes klebt. Amin legt die Wut sofort auf den Bauch und auf die Hände.

Amin und seine Therapeutin malen Gefühle oder spielen sie mit Spielfiguren nach. Gemeinsam erforschten sie, was Gefühle mit den Gedanken und dem Körper machen und welche Funktionen sie haben. Amin lernt, dass Gefühle die eigenen Bedürfnisse anzeigen und versteht, dass Angst und Wut Frühwarnzeichen sind. In den begleitenden Elterngesprächen erklärt Amin mit Unterstützung seiner Therapeutin diese Frühwarnzeichen seinen Eltern und auch seiner Klassenlehrerin. Sie verstehen sein Verhalten nun besser und vereinbaren eine gemeinsame Strategie: mit einem Handzeichen bittet er seine Lehrerin im Unterricht um eine kurze Auszeit. Die Lehrerin gibt ihm dann Zeit für eine Atemübung, bei der er an seinen Lieblingssuperhelden denkt. So kann sich Amin beruhigen und langsam wieder auf den Unterricht konzentrieren. Seine Eltern, seine Lehrerin und seine Therapeutin sind nun durch gemeinsame Absprachen seine wichtigsten Unterstützer.

Amin erarbeitet in der Therapie auch seine Stärken und befragt dazu seine Familie, Lehrkräfte und Freunde. Er hält alles in einem „Stärken-Buch“ fest, das er mit Bildern, Fotos und Zeichnungen gestaltet. Amin ist stolz auf sein Buch und holt es oft hervor.

Nach knapp einem Jahr ist Amin deutlich mutiger und selbstbewusster. Er besucht einen Fußballverein und hat hier und in der Schule Freunde gefunden. Seine Eltern erzählen, dass es in der Familie weniger Streit gibt und Amin auch gut schlafen kann. Auch die Lehrerin berichtet, dass Amin nur noch selten während des Unterrichts wütend wird. Bald kann Amin auch ohne seine Therapeutin seinen Alltag bewältigen und sie bereitet langsam den Abschluss seiner Therapie vor.