Die Gründungsgeschichte:
Im Interview mit Stefanie Graf

Im Jahr 1998 rief die Tennislegende Stefanie Graf die Stiftung CHILDREN FOR TOMORROW ins Leben. Mit großem Einsatz hilft sie bis heute Kindern aus Kriegsgebieten und ist regelmäßig in Hamburg, um Projekte zu besuchen und sich mit ihrem Team und ihren Projektpartnern auszutauschen. Im Folgenden erzählt Stefanie Graf von ihrer Motivation, sich für Flüchtlingskinder einzusetzen und warum das Thema heute aktueller ist, denn je.

Sie haben in diesem Jahr 25-jähriges Jubiläum der Stiftung. Wie hat sich die Arbeit von CHILDREN FOR TOMORROW über die Jahre verändert?

Als ich die Stiftung gründete, gab es 40 Millionen Flüchtlinge weltweit. Die Flüchtlingsambulanz, geleitet von Prof. Riedesser, war eine kleine Ambulanz mit vier Therapeuten und es kamen viele Familien aus dem Kosovo und Afrika. Damals waren wir die einzige Einrichtung mit dem Schwerpunkt, kriegstraumatisierten Kindern und ihren Angehörigen zu helfen.

Heute sind wir bei weltweit über 120 Millionen Menschen auf der Flucht. Im Jahr 2022 gab es den größten Anstieg, den UNHCR je verzeichnet hat – und ein Ende ist nicht in Sicht. Die Nachfrage nach Therapieplätzen ist so groß, dass wir seit einigen Jahren Therapeuten bei der Stiftung angestellt haben und mit unserem operativen Projekt „HonigHelden!“ direkt an die Schulen gehen. Aber wir können den vielen Anfragen nach Therapieplätzen nie gerecht werden.

Warum ist es so wichtig für Sie, traumatisierten Flüchtlingskindern zu helfen?

Das Leid dieser Kinder wird häufig übersehen oder missverstanden. Darum ist es mir so wichtig, gerade diesen Kindern mit diesen vordergründig unsichtbaren Erkrankungen zu helfen. Es sind auch häufig gerade die stillen, zurückhaltenden Kinder, die viel Hilfe brauchen. Sie haben auf der Flucht oft Unvorstellbares erlebt: Tod der Eltern, lange Fußmärsche, Hunger, Folter, Todesangst. Hier angekommen müssen sie nicht nur eine neue Sprache lernen, sondern sich auch in der Schule integrieren, sich an eine fremde Kultur gewöhnen und mit den psychischen Folgen des Krieges und der Flucht zurechtkommen. Wir wollen den Kindern so früh wie möglich helfen, damit sie eine Chance auf ein möglichst gesundes Leben haben.

Obwohl Sie mit Ihrer Familie in den USA leben, besuchen Sie die Stiftung mehrfach im Jahr. Was für Veränderungen nehmen Sie bei den Kindern wahr?

Das ist natürlich bei allen Kindern ganz unterschiedlich: Die Kinder mit den leisen Symptomen werden mutiger, finden Freundschaften und gehen nach einiger Zeit gerne in die Schule. Sie lernen sehr schnell Deutsch und werden selbstbewusster. Kinder mit aggressivem Verhalten können mit der Zeit immer besser in den Therapiestunden ihre Gefühle benennen. Sie lernen, sich zu beruhigen und sich gegenseitig zu unterstützen. Die Kinder bekommen durch die Therapien die Chance, im Schulsystem zu bestehen.

Warum ist es so wichtig, dass die Kinder so früh wie möglich psychische Unterstützung erhalten?

Die psychische Gesundheit ist die Grundbasis für ihre Integration. Man könnte auch sagen: Solange diese Kinder unter ihren Traumata leiden, geht der Krieg weiter. Sie kommen nicht zur Ruhe, lernen nur schwer die Sprache, misstrauen Menschen, haben Probleme, Freundschaften zu schließen und sich in der Schule zu konzentrieren. Erst wenn sie die Erlebnisse verarbeitet haben, können sie sich stabilisieren und auf ihr neues Leben einlassen.

Ihre Stiftung CHILDREN FOR TOMORROW kooperiert seit mehreren Jahren mit der Behörde für Schule und Berufsbildung in Hamburg. Was für Vorteile ergeben sich daraus?

Wir haben festgestellt, dass die kleinen Kinder und ihre Eltern häufig nicht in den Kliniken oder in den niedergelassenen Praxen ankommen, sie fallen aus vielen Gründen durch das Versorgungsnetz. Dabei ist bei einem traumatischen Ereignis vor dem 11. Lebensjahr die Wahrscheinlichkeit, psychisch zu erkranken, um das Dreifache erhöht. Wir wollten darum gerade die jungen Kinder erreichen, damit sich ihr Leid nicht chronifiziert und sie später als Jugendliche von ihren Traumatisierungen eingeholt werden. Deswegen gehen wir dorthin, wo diese Kinder sind – an die Schulen – und arbeiten im Rahmen des Projektes „HonigHelden!“ in enger Kooperation mit der Behörde für Schule und Berufsbildung.

Was genau machen Sie mit Ihrem Projekt „HonigHelden!“?

Wir bieten im wöchentlichen Einzelsetting Verhaltenstherapien und Kunsttherapien direkt vor Ort an den Schulen an. Dabei ist es uns wichtig, auch ihr Umfeld mit einzubeziehen: die Eltern und die Lehrkräfte, denn sie sind die Experten für die Kinder. Den Lehrern bieten wir Fortbildungen und Supervisionen an, erläutern Symptome und unterstützen sie im Umgang mit psychisch belasteten Flüchtlingskindern. Mit den therapiebegleitenden Elterngesprächen schaffen wir eine Kommunikationsebene zwischen den Familien und den Schulen. Dabei haben wir sehr häufig unsere Dolmetscher dabei, um Sprachbarrieren zu umgehen.

Was ist der Vorteil daran, die Kinder direkt in den Schulen aufzusuchen?

Die Schule ist die wichtigste Konstante in ihrem jungen Leben. Hier lernen sie, schließen die ersten Freundschaften und fühlen sich sicher. Und die Schule bietet sehr oft ein geschützteres Umfeld als die Folgeunterkünfte, in denen die Kinder mit ihren Familien wohnen. Zudem sind in der Schule alle Kinder erreichbar und wir können die Lehrer und die Eltern viel leichter mit in den Therapieprozess einbinden. Ein weiterer wichtiger Faktor ist die Tatsache, dass viele Familien es nicht von allein in eine Praxis schaffen würden. Das liegt zum einen an der sprachlichen Barriere, zum anderen aber auch an dem kulturellen Verständnis von Therapie. In vielen Herkunftsländern sind psychische Erkrankungen noch ein absolutes Tabuthema. Dadurch, dass die Therapie in einem alltäglichen Kontext stattfindet, wollen wir Berührungsängste und Hürden für alle Seiten abbauen.

Was wünschen Sie sich für die Zukunft für CHILDREN FOR TOMORROW? Was sind zukünftige Pläne der Stiftung?

Für die Zukunft der Kinder wünschen wir uns in erster Linie mehr Therapieplätze, denn bei einer bereits diagnostizierten Erkrankung bieten wöchentliche Einzeltherapien meistens die beste Chance auf eine Verbesserung. Darum ist ein Ziel, Kooperationen mit niedergelassenen Therapeuten aufzubauen, die Plätze für geflüchtete Kinder zur Verfügung stellen möchten. Wir sind auch dabei, Kassensitze an Schulstandorten zu planen, um das Gesundheitssystem mit an Bord zu holen und die therapeutische Versorgung dieser Kinder zu verbessern. Letztlich werden wir alles versuchen, damit unser Projekt nicht nur in Hamburg, sondern auch in anderen Städten übertragen werden kann und wir möglichst vielen Kindern einen niedrigschwelligen Zugang zu Therapieangeboten ermöglichen.